Eine Reise in die Wüste

Anlässlich der Bewerbung des Scheichtums Katar für die Fußball-WM 2020 wurden die Mitglieder der Fußball-Kommission der AIPS nach Doha eingeladen, um sich ein Bild über das Land, die Menschen und den Fußball zu machen. Wolfgang Winheim, KURIER-Redakteur ("Tagebuch"), Vorstandsmitglied von Sports Media Austria und Mitglied dieser AIPS-Spezialkommission kann berichten - es war fast "wie aus 1000 und einer Nacht" ...

 

Wie aus 1000 und einer Nacht

Winheim

 

Von Wolfgang WINHEIM


42 Grad wurden auf der riesigen Videowall eines Wolkenkratzers angezeigt, obwohl die September-Sonne über dem persischen Golf längst untergegangen war. Die  wenigen „Schani-Gärten“, die nur, wenn überhaupt,  im alten Zentrum von Doha zu finden sind, waren verwaist. In den Luxus-Hotels spielt sich das Leben ohnehin nur indoor ab. In einem Open-Air-Stadion vom lokalen Spitzenklub Al Sadd aber begannen wir bei dessen Heimspiel gegen Al Rayyam  schon nach wenigen Minuten in unseren kurzärmeligen Hemden zu frösteln.

Wir? Das waren die, aus fünf Kontinenten angereisten  Mitglieder der AIPS-Football-Comission. Das WM-Bewerbungs-Komitee von Katar hatte die AIPS-Vertreter zeitgleich mit dem Besuch der FIFA-Inspektoren eingeladen,  zumal die alle das, was sie vor Ort erlebten,  für ein Märchen aus 1000 und eine Nacht gehalten hätten, wären sie bloß via Internet oder Prospekte über die revolutionären Ideen der fußballbesessenen  Scheichs informiert worden.

Da Fußball-Weltmeisterschaften in diesem Jahrtausend stets im Juni und in der ersten Juli-Woche stattfinden, war den WM-Planern in der Wüste stets klar, dass ihre Kandidatur an der Hitze scheitert, wenn … ja, wenn sie nicht für europäische Spielbedingungen sorgen würden. Also ließen sie Ingenieure  beweisen, dass Geld, wie es  in dem kleinen Königreich dank des dritten Erdgasvorkommens der Welt und einer schlauen Finanzpolitik (das Land kann allein von den Zinsen leben) in unüberschaubarem Maße vorhanden ist, erfinderisch macht.

Mit einer neuen sogenannten Cooling-Technology gelingt es, die Temperatur selbst in offenen Stadien beliebig  abzusenken, indem man sich die Gesetze der Physik zu Nutzen macht: Kalte Luft sinkt bekanntlich ab, während warme aufsteigt. Zur kalten Luft, die von den Stadion-Dächern hinab auf Ränge und Rasen geblasen wird, gelangen die Araber wiederum dank Solar-Anlagen, womit Umweltschützer nicht wegen Energie-Verschwendung aufheulen können. Denn die Sonne strahlt intensiver als den nur 930.000 Einwohnern in Katar lieb ist auf die Halbinsel herab.

Scheich Mohammed bin Hammad bin Khalifa Al Thani  will alle neuen Stadien (und auch WM- Trainingsfelder) mit dem Cooling-System  ausstatten lassen. Alle Stadien sollen zudem in Moduls-Bauweise errichtet und nach der WM wieder auf ein Fassungsvermögen von 20.000 rückgebaut werden. Die Modul-Tribünenteile plus 175.000 Plastiksitze würde das OK von Katar nach der WM an Entwicklungsländer verschenken.

Noch aber gilt es, am 2.Dezember vom FIFA-Exekutivkommitee (24 Wahlberechtigte) in Zürich mehr  Stimmen als die acht  Konkurrenten (USA, Spanien/Portugal, England, Russland, Belgien/Niederlande, Australien, Japan, Südkorea) zu bekommen, wobei sich Katar gar nicht erst für 2018, sondern gleich realistisch für 2022 bewirbt. Dass 2018 ein europäischer Kandidat die mit Abstand besten Chancen hat, wird in FIFA-Kreisen gar nicht erst dementiert.

Klimatisierter WM-Fußball unter freiem Himmel ist somit vorerst nur Zukunftsmusik. Und auch wieder nicht. Denn in Brasilien wird, so war in Doha zu erfahren,  ernsthaft daran gedacht, die Cooling-Technology von Katar schon bei der nächsten WM 2014 zu übernehmen. Die Übermittlung per Wireless sollte bis dahin für alle Medienvertreter gratis sein. Für  die AIPS  ist es ein vorrangiges Ziel, den Journalisten das Arbeiten so weit wie möglich zu erleichtern und  moderate Hotelpreise zu erzwingen. Von mehreren WM-Kandidaten (allen voran Katar) liegen diesbezüglich sanfte bis inoffizielle Zusagen vor. Doch lehrt die Erfahrung von olympischen Spielen, Ski-Weltmeisterschaften und anderen Großereignissen, dass sich die Veranstalter ihrer Versprechen nur noch ungern erinnern, sobald sie einmal den Zuschlag bekommen haben.

Weil die Zahl neuer Medien (Online, Privat-Radios usw.) ständig steigt, wird es von WM zu WM schwieriger, zuzüglich zur Akkreditierung auch Pressekarten für die gewünschten Spiele zu bekommen. In Südafrika war die Situation für Medien-Vertreter aus Nicht-Teilnehmerländern wie Österreich zum Teil erniedrigend. So warf ein vor Präpotenz strotzender französischer FIFA-Medien-Mann  in Johannesburg ein Bündel von Restkarten 20 Minuten vor Anpfiff wie bei einer Raubtierfütterung provokant in die verzweifelnd wartende Journalistenmenge. Frei nach dem Motto „ Rauft´s drum, wenn ihr unbedingt arbeiten wollt.“

Unbefriedigend wird die Situation für ausländische Journalisten auch in europäischen Top-Ligen, speziell in der englischen Premiere-League. In Katar beschwerten  sich  südamerikanische Kollegen bei der Football-Comission, dass ihnen in Europa oft der Zutritt ins Stadion ohne Angaben von Gründen verwehrt bleibt, obwohl sie über, bei Topklubs spielenden Landsleute zu berichten haben. Auch deshalb ist es wichtig, dass die internationale Standesvertretung des Sportjournalisten an Bedeutung gewinnt, selbst wenn die so manchem Individualisten gleichgültig ist.

Generell gilt bei einer WM mit und ohne Klimaanlage mehr denn je: „Keep cool.“

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